Hochkonjunktur für Panik und Inkompetenz

Hochkonjunktur für Panik und Inkompetenz

erschienen am 13.März 2020 via KenFM

Panik wegen Corona, Panik an den Aktienbörsen, Panik am Ölmarkt, Panik im Finanzsystem. — Panik allein genommen ist schon schlimm genug, denn sie lähmt die Menschen und erschwert rationale Reaktionen.

Wenn aber Panik gepaart ist mit Inkompetenz der selbsternannten, politischen Eliten, dann potenziert sich das Gefahrenpotential mit verheerenden Folgen für Gesellschaft und Staatengefüge.

Bei einer Sitzung der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag am Dienstag hat laut Berichten von anwesenden Mitgliedern Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt, dass sie davon ausgehe, dass zwischen 60 und 70 Prozent der Menschen in Deutschland sich mit dem neuen Corona-Virus anstecken könnten. Das wären plus/minus 50 Millionen Deutsche. Ähnlich Zahlen hatten zuvor schon anerkannte Virologen genannt.

Natürlich würden nicht alle 50 Millionen Deutschen auf einmal angesteckt werden, sondern die „Durchseuchung“ der Bevölkerung könnte mehrere Jahre dauern. Bei einer von deutschen Experten zugrunde gelegten Sterblichkeitsrate von 1 Prozent wären das immerhin 500.000 Tote und ein Mehrfaches von dauerhaft geschädigten Lungenkranken. Auch wenn diese Opferzahl über mehrere Jahre verteilt wäre, wäre das immer noch eine Katastrophe. Aber es könnte noch schlimmer kommen.

Laut einer Erklärung der Weltgesundheitsbehörde WHO beträgt die Sterblichkeitsrate des Covid-19, wie der Corona-Virus nun offiziell heißt, 3,4 Prozent. Die jetzt aus Italien gemeldeten Zahlen sind noch furchterregender: Auf knapp 9000 Infizierte kamen am Dienstag dieser Woche 476 Tote, also etwa 5,2 Prozent.

Allerdings gibt es gute Gründe, dass sowohl die Zahlen der WHO als auch die aus Italien zu hoch gegriffen sind. Denn vielen Hinweisen zufolge können sich die Bemessungsgrundlagen für die Zählung der von Corona Infizierten stark unterscheiden.

Zum Beispiel fallen all jene Menschen aus der Zählung der Infizierten heraus, die von Covid-19 angesteckt waren, die aber die Krankheit wie jede andere Grippe erlebt und auch auskuriert haben, ohne dass ihr Fall in die Statistik eingegangen wäre. In anderen Ländern ist das Gesundheitssystem zu chaotisch, um überhaupt verlässliche Zahlen der Patienten zu produzieren. Hinzu kommt, dass das Land mit der bisher größten und längsten Erfahrung mit Covid-19, nämlich China, im Verlauf der Krankheit mehrfach die Definition des Virus geändert hat, um z.B. eine „normale“ Lungenentzündung nicht automatische Covid-19 zuzurechnen.

Daher dürfte die unerwartet hohe Sterblichkeitsrate in Italien weniger mit einer bereits gemunkelten, besonders gefährlicheren Mutation von Covid-19 zu tun haben, als vielmehr mit einer unterschiedlichen Zählweise der infizierten Personen, was u.a. auch durch die Unterschiede der Klassifizierung in den nationalen Gesundheitssystemen bedingt sein kann. Dennoch steht fest, dass Covid-19 mindestens genauso ansteckend ist wie die „normale“ Grippe, deren Sterblichkeitsrate von 0,01 Prozent sie jedoch bei weitem übertrifft.

Vor diesem Hintergrund hätte man zumindest erwartet, dass Bundeskanzlerin Merkel Covid-19 zur Chefsache macht. Das hätte uns wenigsten die alltägliche Tragikomödie des gelernten Bankangestellten mit späterem Universitätsabschluss in Politikwissenschaft, Jens Spahn, in der Rolle des Bundesministers für Gesundheit erspart. Ziemlich hilflos versucht Spahn die katastrophale Mangelwirtschaft im Gesundheitssystem, die er und seine Partei selbst zu verantworten haben, notdürftig zu verwalten. Aber wo nichts ist, ist auch nichts zu holen. Deutschlandweit kann sich nicht einmal das medizinische Personal bei der Behandlung von Covid-19 Patienten ausreichend gegen Ansteckung schützen. Das entsprechende Schutzmaterial fehlt und kann auch nicht auf die Schnelle beschafft werden.

Der Spahn und seine Berater haben alle einschlägigen und auf Grund der Entwicklung in China anschaulichen Warnungen schlichtweg verschlafen. Die Covid-19 Gefahr relativierte er schnodderig mit dem Verweis auf die Grippe, die vor wenigen Jahren auch schon mal 25.000 Tote in Deutschland gefordert habe.

Da der Gesundheitsminister und die Regierung insgesamt nicht reagiert hatten, hat die in Panik geratene Bevölkerung gehandelt und unvernünftiger Weise die Regale der Apotheken leergefegt. Aber in unserer perfekt organisierten, modernen Wirtschaft war das für Herrn Minister Spahn kein Grund zur Sorge, denn Nachschub war sicher schon unterwegs. Pustekuchen.

In unserer tollen, neuen Welt, in der Geiz geil und die Profitmaximierung Trumpf ist, werden dank der neoliberalen Globalisierung medizinische Schutzkleidung und Zubehör sowie etwa 80 Prozent der gängigen, auch rezeptpflichtigen Medikamente in China hergestellt. Die restlichen 20 Prozent kommen mehrheitlich aus Indien.

In Deutschland und Europa werden medizinische Schutzkleidung und die gängigen Medikamente seit Langem nicht mehr hergestellt. Auch eine Lagerhaltung zur Vorsorge gibt es bei uns nicht mehr, denn geliefert wird über die eng vernetzten Lieferketten immer „just in time“, „genau zu richtigen Zeit“. Eine E-Mail zu schicken genügt.

Nur jetzt funktionierte das plötzlich nicht mehr. Seit Wochen sind etwa 300 verschiedene, für manche Patienten sogar lebenswichtige Medikamente in deutschen Apotheken nicht mehr zu bekommen. Nur in den Ländern, wo die Verantwortlichen in der Regierung für eine Vorratshaltung gesorgt haben, ist es anders.

Aber Vorsorge für das Wohl der Bevölkerung zu treffen, ist wohl zu viel verlangt vom Bundesgesundheitsminister. Herr Spahn und sein Ministerium, das unser Gesundheitswesen stromlinienförmig auf Gewinnmaximierung getrimmt hat, hat die Versorgungssicherheit der Bevölkerung lieber dem freien Spiel der Märkte und der Profitgier der Pharmaunternehmen und ihrer Aktionäre überlassen, statt sich einzumischen in die Märkte.

In der Bundesrepublik gibt es z.B. seit Jahrzehnten eine Notfallreserve von Rohöl für Wirtschaft und Industrie, aber eine Notfallvorrat von Inhaltsstoffe für die gängigsten Medikamente und medizinischen Hilfsmittel zum Wohl der Bevölkerung gibt es nicht.

Da jegliche Einmischung des Staates in die geheiligte „FREIE“ Wirtschaft von interessierten Kreisen sofort als Sozialismus beschimpft wird, sind solche Maßnahmen für deutsche Politiker tabu, denn sie müssten dann zurecht fürchten, dass sie bei denen, die die wirkliche Macht im Land in den Händen halten, in Ungnade fallen.

Minister Spahn hat selbst dann noch nicht reagiert, als Unternehmen des Pharmagroßhandels ihre noch vorhandenen Bestände zu höheren Preisen zurück nach China verkauften, als selbst dort die Vorräte ausgegangen waren. Als dann wenige Wochen später deutsche Krankenhäuser und Arztpraxen in Erwartung von Covid-19 vermehrt nach medizinischen Schutzanzüge und Masken nachfragten, gab es keine mehr.

Erst zu diesem Zeitpunkt kam aus dem Bundesministerium für Gesundheit der Erlass, das ein Verbot über den Export dieser Waren aussprach, das sogar für andere Länder der EU gilt. Im Volksmund nennt man so was, „Die Stalltür schließen, nachdem der Gaul abgehauen ist.“

Angesichts der Covid-19 Entwicklungen in Italien kann man nur verwundert den Kopf schütteln, zu welchen durchgreifenden Maßnahmen sich der Krisenstab der Bundesregierung, der aus Vertretern des Innenministeriums und des Gesundheitsministeriums besteht, letzten Dienstag durchgerungen hat. Nämlich: Für die Zeit ab dem 16. März sollen bis auf Weiteres keine Besuchergruppen mehr in Bundesministerien und in den nachgeordneten Behörden empfangen werden!  In einer Mitteilung heißt es: „Damit sollen mögliche Infektionsrisiken für die Kernfunktionen der Bundesregierung vermindert werden.“ Toll! Die Parlamentarier im Bundestag hatten bereits zuvor für den Reichstag eine ähnliche Regelung beschlossen.

Und was sonst noch? Weiter heißt es, dass der Krisenstab die vorher bereits von Gesundheitsminister Jens Spahn geäußerte Empfehlung sich zu eigen gemacht hat, Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern abzusagen. Fußballgroßereignisse mit Zig-Tausenden von dicht gedrängten Zuschauern blieben davon unberührt. Es handelt sich schließlich nur um eine Empfehlung des Krisenstabs, und der geht offensichtlich davon aus, dass Covid-19 einen großen Bogen um Fußballstadien macht.