Konferenz in Belgrad lässt NATO-Werbung abblitzen
von Rainer Rupp
erschienen am 29. März und 10.April 2019 via RT deutsch
NATO und EU umgarnen weiterhin die serbische Führung, um das Land in die beiden Frontorganisationen der westlichen Unwertegemeinschaft zu locken. Klarheit darüber schaffte in Belgrad eine hochkarätige internationale Konferenz zum 20sten Jahrestages des NATO-Überfalls.
von Rainer Rupp
Als die jüngste Aussage von Kanzlerin Merkels Außenminister Heiko Maas zum NATO-Überfall auf Jugoslawien letzten Samstag in Belgrad bei der internationalen Konferenz über das NATO-Völkerrechtsverbrechen von vor 20 Jahren bekannt gemacht wurde, löste sie unter den Teilnehmern unglaubliches Staunen und dann Empörung aus. Lediglich die anwesenden Serben schien das kühl zu lassen, waren und sind sie doch dieser Art von krimineller Arroganz aus den Mündern westlicher Politiker seit 20 Jahren ausgesetzt.
Der als Außenpolitiker augenscheinlich zu oft überbewertete und überforderte Heiko Maas (SPD) hatte es tatsächlich fertiggebracht, versuchsweise dem damaligen NATO-Massenmord an serbischen Zivilisten einen Persilschein auszustellen. „Ich glaube nach wie vor, dass die deutsche Beteiligung ein Ausfluss verantwortungsbewussten Handelns gewesen ist“, hatte der „hippe Heiko“ gegenüber den „Stuttgarter Nachrichten“ (Samstagsausgabe) gemeint. Nach all den inzwischen ans Licht gekommenen Lügen zur Rechtfertigung dieses Krieges und nach dem Eingeständnis selbst des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), dass der Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien völkerrechtswidrig war, hätte man zumindest von deutscher Regierungsseite eine bedächtigere, einfühlsamere Reaktion erwarten können. Aber dafür hätte es eines anderen, eines für das Amt geeigneten Außenministers bedurft.
Derweil zeigte eine aufrüttelnde Foto-Dokumentation in der Halle des „Hauses der Armee“ im Zentrum von Belgrad, wo die Konferenz stattfand, schreckliche Bilder von brennenden serbischen Dörfern, von zerbombten Brücken, Wasserwerken und Industrieanlagen, von zertrümmerten Schulen und Krankenhäusern und vor allem von den menschlichen Opfern des knapp zweieinhalb Monate dauernden, „humanitären“ NATO-Bombenkrieges.
Die erschütternden Fotos konfrontierten den Betrachter mit der grausamen Realität eines Krieges, für den allein auf deutscher Seite Kanzler Schröder (SPD), Außenminister Joschka Fischer (Die Grünen) und Kriegsminister Rudolf Scharping (SPD) verantwortlich waren und sind, ohne bisher zur Verantwortung gezogen worden zu sein. Die Bilder zeigen bis zur Unkenntlichkeit zerrissene Körper von Menschen jedes Alters, so wie sie zwischen Trümmern aufgefunden worden waren. Noch unerträglicher sind die Fotos aus Sanitätsstationen, die überlebende, aber grausam verstümmelte Menschen zeigen. Sie zeigen Kinder, denen Hände, Arme oder Beine, bisweilen beidseitig, abgerissen worden waren. Und deren Blicke machen klar, dass sie noch gar nicht verstanden hatten, was mit ihnen passiert war. Angesichts dieser Eindrücke kam bei nicht wenigen Konferenzteilnehmern ob der gefühlslos-dummen Phrasen des deutschen Außenministers Maas die kalte Wut hoch. Und als Deutscher konnte man sich für seine Regierung nur noch schämen.
Der ehemalige jugoslawische Außenminister Živadin Jovanović, der die „Internationale Konferenz für Wohlstand statt Kriege und Armut“ am 22. und 23. März leitete, verurteilte denn auch die Äußerung von Maas in angemessen scharfer Form und forderte stattdessen, dass die Schreibtischtäter der NATO-Mitgliedsländer für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden müssen. Diese Forderung wurde von den mehr als 200 anwesenden Delegierten aus über 20 Ländern, von Indien über Südafrika, Israel, Palästina, Griechenland, Irland, USA, Frankreich, Deutschland, Belgien, Kuba, Venezuela, Russland u.a. mit heftigem Applaus unterstrichen.
Erwartungsgemäß kam die zahlenmäßig stärkste und politisch und militärisch hochrangigste Delegation aus Russland. Von serbischer Seite als Gastgeber war u.a. der Verteidigungsminister Aleksandar Vulin vertreten, und in seiner Rede lehnte er die drängende Einladung aus Brüssel für eine Mitgliedschaft in der NATO unmissverständlich ab. Eine Zurückweisung der NATO in dieser Deutlichkeit war für Nachkriegs-Serbien jedoch durchaus ein neuer Ton.
Zur Erinnerung: Im Jahr 2001, weniger als zwei Jahre nach dem NATO-Überfall waren vergangen, da hatten sich in Belgrad die NATO-Quislinge der „Demokratischen Partei“ mit Hilfe der ersten sogenannten Farbenrevolution und mit großen Versprechungen über die kommenden Segnungen des liberalen Westens an die Macht geputscht. Als Beweis ihrer Unterwürfigkeit unter die westliche (Un-)“Wertegemeinschaft“ haben sie dann prompt den Verteidiger der Souveränität Jugoslawiens, den gestürzten Präsidenten Slobodan Milošević an die NATO und den von ihr zynisch „eingerichteten und bezahlten“ (so offenherzig damals der NATO-Sprecher Jamie Shea) „Internationalen (Sonder-)Gerichtshof für Jugoslawien“ in Den Haag ausgeliefert.
Im Gefängnis von Den Haag kam Milošević dann später bekanntlich zu Tode. Ob er eines natürlichen Todes starb oder ermordet wurde, bleibt Auslegungssache. Tatsache ist, dass dem kreislaufkranken Gefangenen die von unabhängigen Ärzten verschriebenen Medikamente verweigert wurden, nachdem die Punkte der Anklage in dem gegen ihn geführten Prozess nicht durch Beweise erhärtet werden konnten, wodurch er dann – für die NATO sehr bequem – im Gefängnis starb. Damit war „dieses Problem“ für die Verbrecher des Wertewestens beseitigt. Denn es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn es dem Team der Strafverteidiger Miloševićs bei einer Fortführung des Prozesses auch noch gelungen wäre, der NATO ihr kriminelles Handwerk nachzuweisen.
Etwas mehr als 10 Jahre nach dem Putsch gegen Milošević wurden die NATO-Marionetten in Belgrad von der Bevölkerung abgewählt. Bei den Wahlen von 2012 entschieden sich zwei Drittel der Wähler in Serbien für eine neue Regierung, die zwar auf mehr Distanz zu NATO ging, aber weiterhin engen Kontakt zur EU pflegte, deren Mitgliedschaft sie allem Anschein nach weiter anstrebte. Zugleich fing zum ersten Mal seit dem NATO-Überfall von 1999, der durch den Verrat des russischen Präsidenten Jelzin und seines Jugoslawien-Beauftragten Wiktor Tschernomyrdin überhaupt erst ermöglicht worden war, eine neue, zaghafte Annäherung zwischen Belgrad und Moskau statt.
Je deutlicher sich dann in den folgenden Jahren der russische Präsident Putin gegen die mörderische „Liberale Weltordnung“ des Westens stellte und je stärker er die Entschlossenheit des russischen Widerstandes durch politische und militärische Maßnahmen (siehe Syrien und jüngst Venezuela) untermauerte, wurden dann die alten, vielschichtigen Bande zwischen Serbien und Russland erneut zusammengesponnen. Vor diesem aktuellen Hintergrund fand die Konferenz am 22. und 23. März in Belgrad statt.
Direkt zur Konferenzeröffnung unterstrich denn auch der Vizepräsident der russischen Staatsduma (also des Parlamentes) mit dem berühmten Namen Tolstoi das gemeinsame Schicksal und die uralte Verbundenheit zwischen dem russischen und dem serbischen Volk. Als nächstes verlieh Pjotr Olegowitsch Tolstoi seiner Empörung Ausdruck über die unmittelbar zuvor in Den Haag im Rahmen eines Revisionsverfahrens verkündete Verschärfung der Strafe gegen den Kinderarzt Radovan Karadžić von bisher 40 Jahren auf lebenslange Haft.
Bereits während des Bürgerkriegs ins Bosnien-Herzegowina waren die bosnischen Serben vom „Wertewesten“ als Ausgeburt des Bösen und zu den Alleinschuldigen des Krieges abgestempelt worden. Nach dem durch ein NATO-Bombardement erzwungenen Ende des Bürgerkriegs im Jahr 2005 war Karadžić dann als politischer Anführer der bosnischen Serben auf Grundlage höchst fragwürdiger, „politisch motivierter“ und entsprechend manipulierter Beweise von dem durch die NATO erfundenen und bezahlten Internationalen Strafgerichtshof für Jugoslawien (ICCY) abgeurteilt worden. In aller Schärfe verurteilte der Duma-Vizepräsident Tolstoi daher die doppelbödige Moral des sogenannten „Wertewestens“ und forderte, dass alle wahren Kriegsverbrecher, angefangen mit Bill Clinton, vor Gericht gestellt gehörten.
Insgesamt wurde die Konferenz in Belgrad von drei Hauptthemen durchzogen:
Erstens: Die enormen Zerstörungen, vor allem ziviler Objekte. Dazu gehörten auch die großen Anlagen der chemischen Industrie des Landes, durch deren Vernichtung die Umwelt gleich doppelt vergiftet wurde. Zum einen wurden riesige Mengen toxischer Substanzen freigesetzt und konnten durch Niederschläge über ausgedehnte Flächen ins Grundwasser gelangten. Und andererseits durch den umfangreichen Einsatz von harmlos betitelter „DU-Munition“, die jedoch tatsächlich aus reichlich vorhandenem, abgereichertem Uran besteht, beim Aufschlagen massenweise hochgefährliche radioaktive Mikropartikel über weite Flächen verbreitet, die auch nachweislich in allen betroffenen Gebieten zu signifikant erhöhten Krebsraten und folglich auch zu kaum abschätzbaren genetischen Spätfolgen geführt hat. Davon sind bis heute vor allem seither geborene Kinder betroffen.
„Warum, warum haben sie uns das angetan?“ war eine Frage, die man von serbischer Seite immer wieder hörte. Die NATO müsse doch gewusst haben, welche Schäden sie den Menschen und ihrer Umwelt mit dem Einsatz solcher Waffen zufügte.
Das zweite Hauptthema befasste sich mit dem Konzept „Vergeben und Vergessen und nach vorne blicken“. Nach dem Ende des NATO-Bombenkrieges war solche Forderung – vor allem auf Druck aus der EU – immer wieder von den nachfolgenden, aufeinanderfolgenden Marionetten-Regierungen in Belgrad an die Bevölkerung gerichtet worden, jedoch nur mit geringem Erfolg. Bei der Konferenz in Belgrad ist jetzt das Pendel sogar zurückgeschwungen. Was das für die zukünftige politische Orientierung Serbiens bedeuten kann, wird in einem zweiten, in Kürze folgenden Artikel dargelegt werden.
Eng damit verknüpft ist das dritte Hauptthema, nämlich ein von beiden Seiten gewünschtes, engeres politisches und militärisches Zusammenrücken von Serbien und Russland. Selbst eine Allianz wurde angeboten. Warum dies nur zaghaft vonstatten gehen kann, wird ebenfalls in einem folgenden Artikel dargelegt werden.
Nach dem Ende des NATO-Bombenkriegs im Jahr 1999 kam in einem vom Westen gesteuerten Putsch 2000 eine Marionetten-Regierung in Belgrad an die Macht. Ihre Aufgabe, die Bevölkerung dafür zu gewinnen, „zu vergeben, zu vergessen und nach vorne zu blicken“ in eine gemeinsame Zukunft in der EU und der NATO, konnte sie nicht erfüllen. Bei der Wahl 2012 wurden die West-Marionetten davon gejagt. Seither ist das politische Pendel wieder etwas zurückgeschwungen, wie die Konferenz in Belgrad gezeigt hat.
„Wir werden niemals ein Mitglied der NATO werden. Selbst wenn wir das letzte Land in Europa wären, das der NATO noch nicht beigetreten ist, werden wir kein Mitglied werden“. An dieser Stelle wurde die Rede des serbische Verteidigungsminister Aleksandar Vulins von einem lang anhaltenden, stürmischen Applaus im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal im ‚Haus der Armee‘ in Belgrad unterbrochen. Dort hatte gerade der zweite Tag der Internationalen Konferenz „NATO-Aggression – Niemals vergessen – 1999-2019 – Frieden und Fortschritt statt Krieg und Armut“ vom 22. bis 23. März 2019 anlässlich des 20. Jahrestags des NATO-Überfalls auf Jugoslawien begonnen.
Niemals werden wir vergessen, dass die NATO unsere Kinder getötet hat“,
legte Minister Vulin an anderer Stelle seiner Rede nach. Auch beträfen die NATO-Verbrechen nicht nur die ermordeten Kinder und Zivilisten, sondern auch die serbischen Polizisten und Soldaten, die jedes Recht hatten, ihre Heimat gegen den durch nichts provozierten Überfall zu verteidigen.
Minister Vulin gab noch eine weitere Begründung, weshalb er die NATO strikt ablehnte: Denn in diesem Bündnis würden kleinere Länder in die Pflicht genommen, zusammen mit den Großen und Mächtigen andere freiheitsliebende Länder, die nicht nach der Pfeife der NATO tanzen wollten, militärisch zu überfallen oder mit Sanktionen zu destabilisieren. An sowas würde sich Serbien, das selbst die Freiheit als höchstes Gut schätzt, niemals beteiligen.
Wiederholt bedankte sich der Minister bei den zahlreichen, internationalen Gästen. Sie seien die Einzigen gewesen, die vor 20 Jahren das damals von allen Staaten, einschließlich von dem geschwächten Russland, allein gelassene Serbien gegen den NATO-Überfall durch Demonstrationen und Veröffentlichungen unterstützt hätten.
Zum Abschluss seiner Rede ging Vulin auf den diplomatischen und wirtschaftlichen Druck ein, den die EU und die NATO weiterhin auf Belgrad ausüben. Die beiden Brüsseler Organisationen wollen, dass die Serben sich um eine Mitgliedschaft in ihrer so genannten „westlichen Wertegemeinschaft“ bewerben. Dazu fordern sie das serbische Volk auf, „zu vergeben, zu vergessen und in eine gemeinsame Zukunft nach vorne zu blicken“. Darauf antwortete Vulin:
Ich spreche hier im Namen des serbischen Volkes und ich kann nicht vergeben und auch nicht vergessen. Selbst wenn alle anderen Länder Europas bereits Mitglieder der NATO wären, Serbien wird niemals dieser Organisation beitreten. Wir Serben werden alles tun um den Frieden zu erhalten, fast alles, außer unsere Freiheit aufzugeben.
Die Rede des Ministers Vulin war im prall gefüllten Saal wiederholt von großem Beifall unterbrochen worden. Insbesondere die venezolanische Diplomatin im Botschafterrang, Dia Nader d El-Andari, die als Nächste sprach, würdigte den selbstbewussten und kämpferischen Beitrag von Verteidigungsminister Aleksandar Vulin.
Allerdings hatte der serbische Verteidigungsminister die Möglichkeit einer Mitgliedschaft in der EU, mit der Brüssel derzeit Belgrad umgarnt, nicht angesprochen. Der Grund mag darin liegen, dass die EU nicht sein Ressort ist und seine Kollegen vom Außen- und Wirtschaftsministerium dafür verantwortlich sind. Es mag aber auch andere Gründe haben, auf die weiter unten eingegangen wird.
Kaum Unterschiede zwischen EU-Armee und NATO
Die Europäische Union hat neben ihrer Einschränkung der nationalen Souveränität ihrer Mitgliedsländer in ökonomischen Dingen auch noch eine geopolitische und militärische Komponente. Das brachte der Vorsitzende des Deutschen Freidenkerverbands Klaus Hartmann in seinem auf Vulins Rede folgenden Beitrag auf den Punkt. Laut Hartmann sind „die NATO und die militärische Komponente der EU zwei Seiten ein und derselben Medaille“.
„Betrachten wir die NATO und die EU, dann finden wir in militärischer Hinsicht keine prinzipiellen Unterschiede“, so Hartmann und erinnerte die Konferenzteilnehmer „zum Beispiel an die Vorbereitungen des Maidan-Putsches in Kiew, wobei die Europäische Union bei der Unterstützung der nationalistischen und faschistischen Gewaltextremisten Hand in Hand mit den USA und der NATO zusammen gearbeitet hat“. Ganz aktuell wäre da auch noch an „die völkerrechtswidrige Unterstützung des von den USA eingesetzten Putschpräsidenten in Venezuela durch die EU in Brüssel zu erinnern“.
Weiter hob der Freidenker hervor, „dass trotz aller verlockenden Versprechungen der EU-Eliten an die potentiellen serbischen Profiteure eines EU-Beitritts, die Mitgliedschaft in der Europäischen Union für Serbien bedeutet, dass das Land wichtige Bereiche seiner nationalen Souveränität verlieren wird und an die nicht-demokratisch gewählte EU-Kommission in Brüssel abgeben muss.“
Damit sprach Hartmann die Tatsache an, dass kein Wähler eines EU-Staates, egal in welchem Land, mit seiner Stimmabgabe irgendeinen Einfluss auf die Zusammensetzung oder auf die Arbeit der EU-Kommission hat. Die EU-Kommission arbeitet auch nicht im Dienst der Völker Europas sondern im Dienst der globalen Konzerne, für die sie auf dem europäischen Kontinent die von den USA getriebene, neoliberale Weltordnung durchsetzt.
Der hohe Preis einer EU-Mitgliedschaft
Außerdem verweist der Bundesvorsitzende der Deutschen Freidenker darauf, dass das serbische Parlament als Mitglied der EU „das Wichtigste von allen parlamentarischen Rechten an Brüssel abgeben“ müsste, nämlich „das Recht, über den Haushalt des serbischen Staates selbst und ohne Einmischung von außen zu entscheiden“. Auch alle Rechte und Vorschriften des Außenhandels müsste Belgrad an Brüssel abgeben, was unter anderem auch bedeutet, „dass die Regierung in Belgrad sich an den völkerrechtswidrigen Wirtschafts- und Handelssanktionen der EU beteiligen müsste, zum Beispiel gegen freiheitsliebende Staaten wie Syrien oder gegen das mit Serbien eng befreundete Russland“.
Besonders wichtig sei, – so Hartmann weiter – dass die Menschen in Serbien und die Regierung in Belgrad erkennt, „dass der Vertrag über eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union auch eine militärische Komponente enthält“. Diese verpflichte zur militärischen Integration in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungsstrukturen, deren bewaffneter Arm, die sogenannte EU-Armee, Hand in Hand mit der NATO für neo-koloniale Zwecke gegen freiheitsliebende und unabhängige Staaten eingesetzt wird. Nur gegen die NATO zu sein, aber Mitglied des neoliberalen Projekts Europäische Union, sei „ein Widerspruch in sich selbst“.
Das verstärkte Engagement der EU gegenüber dem westlichen Balkan
Allerdings hat die EU die in Anbetracht des „erheblichen wirtschaftlichen Potentials“ Serbiens und des Expansionsdrangs westlicher Konzerne in die Region in einem Dokument vom Februar 2018 ihre neue Strategie für den Westbalkan vorgestellt, in dem vor allem Serbien die Hauptrolle spielt.
Das Strategie-Papier mit dem Titel: „Eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive für ein verstärktes Engagement der EU gegenüber dem westlichen Balkan“ wurde von der EU-Kommission unter anderem an das EU-Parlament und den EU-Rat geschickt. Das Papier unterstreicht, dass „keines der West-Balkan-Länder derzeit als eine funktionierende Marktwirtschaft angesehen werden kann“ und dass die „bilaterale Streitigkeiten zwischen den Ländern der Region“ von der EU nicht akzeptiert werden. Allein dieser letzte Satz zeigt, mit welcher Arroganz die Herren in Brüssel die real existierenden Probleme der Region sehen.
Die neue Dringlichkeit, welche die EU plötzlich wieder dem West-Balkan und vor allem Serbien beimisst, hat jedoch einen anderen Grund. Der wird in dem EU-Strategiepapier zwar nur verklausuliert erwähnt, aber jeder weiß, worum es tatsächlich geht – nämlich „um das wachsende Interesse ausländischer Mächte in der Region, vor allem von Russland und der Türkei“. So stand es zum Beispiel im Konferenzprogramm der Loccum Akademie zum Thema „Der Westbalkan zurück in Focus“, die im Mai 2018 stattfand und mit dem Untertitel „Wie kann das erneute Engagement Europas in der Krisenregion gestaltet werden?“
Die stark verbesserten Beziehungen zwischen Belgrad und Moskau sind also der wahre Grund für den neuen Elan, mit dem die EU die mit dem NATO-Überfall geschaffenen und seither ungelösten Probleme auf dem Westbalkan plötzlich wieder neu entdeckt hat. So reklamiert die EU-Kommission zum Beispiel in ihrem Strategie-Dokument vom Februar 2018 die Westbalkan Region als den ureigenen Hinterhof der EU, in dem externe Kräfte nichts zu suchen haben. Wörtlich heißt es in dem Dokument:
Die Zukunft der Region als integraler Bestandteil der EU liegt im ureigenen politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interesse der Union. Sie stellt eine geostrategische Investition in ein stabiles, starkes und geeintes Europas auf der Grundlage gemeinsamer Werte dar.“
Die Tatsache, dass gerade die Russen die stärkste Delegation mit hochkarätigen Vertretern aus Politik, Militär und den Wissenschaften zur Belgrader Konferenz über den NATO-Überfall von 1999 geschickt hatten, dürfte vor dem Hintergrund der oben beschriebenen EU-Pläne für den Westbalkan bei den Eurokraten in Brüssel nicht gerade freundlich aufgenommen worden sein. Erschwerend dürfte hinzugekommen sein, dass die russischen Delegierten mit ihren klaren Aussagen zur NATO und zum „Wertewesten“ und mit ihrem Werben für einen engeren serbisch-russischen Schulterschluss von den anwesenden Serben immer wieder mit besonderem Applaus gefeiert wurden.
Vergebung gibt es nur für reuige Sünder und nicht für die NATO
Piotr Tolstoi, Vizepräsident der russischen Staatsduma, unterstrich das gemeinsame Los von Russland und Serbien. Zugleich verurteilte der auch physisch große Mann mit mächtiger Stimme den mit zweierlei Maß messenden Wertewesten. Die westliche Forderung nach „vergeben und vergessen“ für die durch den Überfall Ermordeten wies er entschieden zurück, denn Vergebung könne es nur für Sünden geben, die bereut wurden. Aber die NATO hat nichts bereut sondern stattdessen an anderen Stellen genauso weitergemacht.
Sergeij Baburin, Vorsitzender der Internationalen Slawischen Akademie der Wissenschaften und ehemaliger Vizepräsident der Staatsduma, erinnerte die Serben daran, dass nach dem NATO-Überfall das russische Parlament eine Anklageschrift mit der Auflistung der NATO-Kriegsverbrechen in Serbien verfasst hatte und dass dieses Dokument immer noch seine Gültigkeit habe. Nur könnte der Kreml nicht serbischer sein als die Serben selbst, weshalb die serbische Regierung in dieser Sache auf dem diplomatischem Parkett die Initiative ergreifen müsse. Erst dann könne Russland vollumfängliche Hilfe leisten.
Dr. Wladimir Kozin, leitender Experte am Zentrum für Militärpolitische Studien und des Moskauer Staatliches Instituts für Internationale Beziehungen hieb in dieselbe Kerbe wie Baburin und bot den anwesenden serbischen Generälen eine weitreichende, serbisch-russische Zusammenarbeit auf militärisch-technischer Ebene an. Aber mehr als anbieten könne er das nicht, die Serben müssten selbst aktiv werden und ihr Interesse zeigen. Direkt an die serbischen Militärs gewandt sagte er: „Seid nicht so scheu“.
Das neue Russland sei heute wieder stark, nicht nur militärisch sondern auch politisch und moralisch, und werde niemanden mehr im Stich lassen – das war die Botschaft der Russen an ihre serbischen Freunde. Selbst eine Allianz wurde angeboten. Alle russischen Redner machten klar, dass „das Russland von heute nicht mehr das von 1999“ sei. Damit sprachen sie den Verrat führender Leute in der Jelzin-Regierung an, die damals Serbien in seiner schlimmsten Not in Stich gelassen hatten, um sich Washington anzudienen. Der Hauptschuldige war damals Wiktor Tschernomyrdin, der von 1992 bis 1998 russischer Ministerpräsident war und Anfang 1999 von Jelzin als Sondergesandter nach Jugoslawien geschickt wurde, wo er ein falsches Spiel im Sinne seiner neuen westlichen Freunde gespielt hatte.
Trotz dieser russischen Freundschaftsangebote, die für die Serben sicherlich nicht neu waren, hat der serbische Präsident Aleksandar Vučić bisher nur sehr verhalten auf die russischen Ouvertüren reagiert. Zwar hat auch er einer Mitgliedschaft in der NATO eine deutliche Absage erteilt, denn dabei weiß er das ganze Volk hinter sich, aber bezüglich der EU ist das anders. Vor allem gut ausgebildete junge Leute, die in die EU wollen, demonstrieren jede Woche friedlich im Zentrum Belgrads gegen den Präsidenten und werfen ihm eine zu russlandfreundliche Politik vor.
Präsident Vučić steht somit zwischen zwei Lagern: einem pro-EU und für die neoliberale Westintegration und einem pro-russischen, das die alten serbischen Bande mit Moskau wieder enger knüpfen will. Und im Hintergrund wirkt – sozusagen als tiefer Staat – eine wenig sichtbare aber einflussreiche Kraft, die an die alte „blockfreie“ Tradition Jugoslawiens anknüpfen will, und die auf gleiche Distanz sowohl zu Russland als auch zur EU und dem Westen setzt.
Von außen betrachtet sieht das aus, als betreibe Serbien unter Präsident Vučić die aus der Geschichte der Balkanstaaten bekannte Schaukelpolitik. Aber letztlich ließen die wirtschaftlichen Realitäten dem Präsidenten keine andere Wahl, erklärte ein ehemaliges hochrangiges Mitglied der Milosevic-Regierung dem Autor dieser Zeilen. Serbien exportiere viel Mal so viel in die EU als nach Russland. Wenn jetzt Belgrad dem Werben der EU den Rücken kehren und sich einseitig nach Russland orientieren würde, könnte Brüssel Sanktionen verhängen, welche die gerade boomende serbische Wirtschaft wieder in die Knie zwingen würde.
Zugleich leben und arbeiten vier Millionen Serben in EU-Ländern und auch denen könnte Brüssel das Leben erschweren. Daher sei die Politik von Vučić, nämlich Serbiens Entscheidung möglichst lange hinauszuzögern, im Moment das Beste für das Land. Womöglich spekuliere Vučić sogar darauf, dass angesichts des zunehmenden Zerfalls der politischen Zusammenhalts der Europäischen Union die Frage, in welche Richtung sich Serbien orientieren soll, sich in ein paar Jahren von alleine gelöst hat.