Vive la Révolution

Vive la Révolution

von Rainer Rupp

erschienen am 7.Dezember 2018 via KenFM

Der Aufstand der „Gelben Westen“ scheint in Frankreich dem staatlich verordneten Sozialismus für Reiche (Gewinne privatisiert, Verluste sozialisiert) einen Riegel vorzuschieben. Auf einmal geht nichts mehr. An der Pariser Börse stürzen die Kurse und die Regierung weiß nicht mehr ein noch aus. Die selbsternannten, selbstherrlichen Eliten, die sich in ihrer unendlichen Arroganz bereits allmächtig gefühlt haben, haben plötzlich das Zittern gelernt, angesichts der geballten, unbezähmbaren Kraft der wachsenden Demonstrationen und Blockaden Hundertausender von Menschen.

Und Präsident Macron, der vor allem von den deutschen Medien wegen seines neoliberalen Glaubensbekenntnisses als großer Hoffnungsträger an der Seite Merkels als Retter der EU bejubelte wurde, ist – aus Angst oder Unfähigkeit – auf Tauchstation gegangen, von der er nur noch als traurige Gestalt wieder auftauchen kann.

Der 14. Juli 1789 ist tief in das kollektive Gedächtnis der Franzosen eingebrannt. Es ist der Tag der ersten erfolgreichen demokratischen Revolution, die auch heute noch jedes Jahr vom Volk gefeiert wird. Sie feiern ein Ereignis, bei der ihre Vorfahren die damaligen selbsternannten und selbstherrlich regierenden Eliten, wortwörtlich, einen Kopf kürzer gemacht haben. Auch heute haben die Franzosen wieder „ras le bol“, „die Schnauze gestrichen voll“, in Paris, in den anderen Städten und auf dem Land.

Aber auch in fast allen anderen Ländern der Europäischen Union, von Griechenland, über Italien, Spanien und Portugal, über Großbritannien bis nach Deutschland haben die Leute die Faxen dicke. Ja, es gilt auch für Deutschland, wo man doch laut Kanzlerin Merkel „gut und gerne leben“ kann, die Hartz IV Opfer mit inbegriffen, einschließlich der über zwei Millionen offiziell als in Armut lebenden Kinder in unserem reichen Land.

Aber zwischen den anderen EU-Ländern und Frankreich gibt es einen wesentlichen Unterschied: Die Franzosen wissen und zeigen, wie‘s gemacht wird, mit ersten Erfolgen. Schon hat die Macron Regierung zurückgerudert. Nach anfänglichem imperialem Gehabe, dem Druck des Pöbels auf der Straße nicht nachzugeben, kam letztes Wochenende die Situation, in der das Wallstreet Journal, das Amtsblatt der Internationalen Hochfinanz, spekulierte, dass Hundertzwanzig Tausend Gelbwesten die revolutionshistorische Bastille stürmen wollten und Macron der erste Präsident seit einem halben Jahrhundert sein würde, der „mit scharfer Munition auf sein eigenes Volk schießen“ lassen würde. Soweit kam es am vergangenen Montag dann doch nicht (noch nicht?). Um die Lage zu entspannen hat die Regierung in Paris stattdessen ihre Pläne zur Erhöhung der Steuern, die vornehmlich wieder die kleinen Leute getroffen hätten, vorerst verschoben.

Gerade diese Steuererhöhungspläne für Treibstoffe, Strom, und Gas haben den Franzosen nochmals gezeigt, wie abgehoben die regierenden Eliten, mit dem verschwenderischen Pomp liebenden Präsidenten Macron an der Spitze, in den Sphären über dem gemeinen Volk schweben. Bereits jetzt kommt der Großteil der Franzosen wegen steigender Verbraucherpreise und sinkender Löhne immer weniger bis zum Monatsende über die Runden. Das ist eine direkte Konsequenz von Macrons „Reformen“ des Arbeitsmarktes, bei denen die asozialen Agenda 2010 Methoden des deutschen Kanzlers Schröder zur Anwendung kommen. In dieser ohnehin bereits angespannten sozialen Lage ging nun die Macron Regierung hin und kündigte die Erhöhung der Energiepreise an. Wie zum Hohn wurde diese Maßnahme zur zusätzlichen Schröpfung der Franzosen als Beitrag Frankreichs zum globalen Klimaschutz drapiert. Das brachte das Fass zum Überlaufen und die Gelben Westen in Massen auf die Straße.

Schließlich pfeifen es in Frankreich die Spatzen von den Dächern, dass der Haushaltsplan der Regierung die von der EU vorgeschriebene Defizitgrenze erheblich überschreitet, was Macrons angestrebten Nimbus des europäischen Vorreiters untergraben würde. Da Macron von seinen militärischen Großmachtträumen an der Spitze der EU keine Abstriche machen  und in Syrien und in diversen afrikanischen Staaten weiter bomben und Krieg führen will, kommt eine Kürzung der französischen Rüstungsausgaben nicht in Frage, im Gegenteil, sie steigen. Da eine höhere Besteuerung seiner eigenen Klasse, der „elitären Leitungsträger“ und anderer Parasiten für Macron ebenfalls nicht in Frage kam, blieb als Ausweg die zusätzliche Besteuerung der unteren Schichten, um das Haushaltsdefizit EU-konform zu machen.

Soviel selbstherrliche Ignoranz brachte das Fass zum Überlaufen. Letzten Samstag hatte der über das ganze Land verstreute Flächenbrand der „Gelben Westen“ das Zentrum von Paris ergriffen, wo sich angesichts der massiven Präsenz und des brutalen Eingreifens der staatlichen Sicherheitskräfte die Demonstrationen radikalisierten und sich auch in Gewaltakten entluden. Bei den Kämpfen gegen die Polizei verbrannten gewalttätige Gruppen Autos, zerschlugen auf der Luxuseinkaufsstrasse „Avenue des Champs-Élysées“ Schaufenster von Elitegeschäften wie Dior und Chanel und entweihten des Nationalheiligtum der Eliten, den Arc de Triomphe mit Kampfparolen und anderen Graffiti.

In Solidarität mit den Pariser Aufständischen brachen Proteste in anderen französischen Städten aus. Eine erste Analyse der über Hundert verhafteten Demonstranten in Paris zeigte ein für die Eliten beängstigendes Ergebnis. Fast alle waren junge Männer zwischen 20 und 40 Jahren, die bisher noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Fast alle gingen einer festen Arbeit nach, lebten in geregelten Familienverhältnissen und nur wenige gehörten einer politischen Partei an. Es handelte sich also nicht um Randgruppen so genannter „Chaos-Touristen“ und Schlägertrupps, wie man sie von anderen Großdemos gewöhnt ist, sondern sie waren ganz normale Leute aus der Arbeiter- und Mittelschicht.

Und wenn die Mitte des Volkes, (die Gelbwesten setzen sich zusammen aus Kleinunternehmern, Angestellten, Arbeitern und Handwerkern aber auch aus prekär Beschäftigen, Rentnern, Arbeitslosen) keinen anderen Ausweg mehr sieht, als gewalttätig zu werden, dann haben die Eliten allen Grund zu zittern. Umso mehr, wenn auch die französische Polizeigewerkschaft ab Samstag 8. Dezember zum unbefristeten Streik aufruft. Sie wollen „denselben Kampf wie die Gelbwesten“ führen. Für denselben Samstag ist eine neue „landesweite Mobilisierung“ der Gelbwesten geplant. Wir sehen bewegenden Zeiten entgegen.

So wundert es nicht, dass inzwischen eine neue Debatte über die Vermögenssteuer entfacht worden ist. Die war mit dem Haushaltsgesetz für 2018 weitgehend abgeschafft worden. Nur noch Immobilienbesitz muss weiter versteuert werden, für Kapitalbesitz fallen die Abgaben jedoch weitgehend weg. Diese Regelung hatte Macron auch den Ruf eingebracht, ein „Präsident der Reichen“ zu sein. Jetzt hat die Spekulation darüber begonnen, ob die Abschaffung der Vermögenssteuer nicht wieder rückgängig gemacht werden sollte. Das kann als erste Anzeichen gedeutet werden, dass unter dem Druck der Straße die starren, neo-liberalen Fronten beginnen sich aufzulösen. Es geht also doch!

Derweil weitete sich der Protest in Frankreich weiter aus. In der kommenden Woche wollen laut Bauerngewerkschaft FNSEA auch die Landwirte demonstrieren. Die Protestwelle hat unterdessen auch die französischen Gymnasien und die Studentenschaft erfasst, die sich gegen die Macron „Reformen“ im Bildungsbereich wehren. Anfang dieser Woche haben sich in Paris auch die Krankenwagenfahrer den Protesten angeschlossen und gegen die Macron „Reform“ zur Finanzierung der Krankentransporte demonstriert. Die alle haben inzwischen begriffen, was mit neo-liberalen Reformen gemeint ist. Ein 14 Jahre altes deutsches Mädchen brachte mir gegenüber schon im Jahr 2000 die Sache auf den Punkt, als ich sie fragte, was sie unter dem Begriff „Reformen“ versteht. „Wenn man einem was wegnimmt“, war die treffende Antwort.

In Frankreich sind die Gelbwesten dabei, das westliche, angebliche „Wertesystem“ zu entzaubern. Der Geist ist aus der Flasche und droht auf andere Länder überzuspringen, erst Recht, wenn die Gelbwesten Erfolge vorzeigen können, indem das Macron-Regime  bei wichtigen Anliegen einknickt. Was in Paris passiert, ist eine Botschaft für alle westlichen Länder. Die Belastungen für die Arbeiter- und Mittelschicht sind offensichtlich unerträglich geworden. Die Ereignisse in Frankreich zeigen, dass die westlichen Eliten an die Grenzen ihrer politischen Fähigkeit gestoßen sind, ihren Völkern noch größere Opfer abzuverlangen. Das kann weltbewegende Folgen haben und die Großmachtträume der EU-Eliten in einen Scherbenhaufen verwandeln.

Für die Eliten in Europa und den USA steht viel auf dem Spiel. Ablenken und die Schuld auf jemand anders schieben scheint ein letzter verzweifelter Ausweg. So war es nur eine Frage der Zeit, bevor eifrige Experten entdeckt haben, dass Putin hinter den Gelbwesten-Protesten in Frankreich steckt. „Propornot“, die selbsternannten Wächter der US-Politdiskussion im Umfeld des von Kriegsfalken durchsetzten Atlantic Council, wollen Hinweise gefunden haben (1), dass die Proteste in Frankreich in Wirklichkeit eine „Aktiv-Maßnahmen-Kampagne“ Russlands gegen Präsident Emmanuel Macron sind. Für wie verblödet halten die Idioten von „Propornot“ den Rest der Welt?

Quelle:

  1. https://deutsch.rt.com/international/80450-nur-frage-zeit-russland-steckt/