Warum will SPD-Spitze Merkel retten?

Warum will SPD-Spitze Merkel retten?

von Rainer Rupp

erschienen am 19.Januar 2018 via KenFM


„Ab morgen kriegen sie in die Fresse“, hatte die Bundestagsfraktionschefin der SPD Andrea Nahles nur wenige Tage nach der Bundestagswahl über die Unionsparteien gesagt. Aber genau mit denen will sie jetzt erneut ins Bett. Auch SPD-Vorsitzender Martin Schulz hatte unmittelbar nach der empfindlichen Wahlschlappe im Willy-Brandt-Haus unter begeistertem Beifall die Große Koalition für tot erklärt. Zugleich distanzierten sich auch Politiker der CDU/CSU flugs von ihrem GroKo-Partner SPD, wenn auch mit weniger kraftvollen Worten wie Frau Nahles.

Alle GroKo-Parteien hatten bei der Wahl dramatische Verluste erlitten. Deutlicher hätten die Wähler die Koalitionäre nicht abstrafen können. Folglich hatten alle Beteiligten, CDU/CSU und die SPD nichts Eiligeres zu tun, als sich vom jeweils anderen öffentlich abzusetzen. Für die CDU lockte vielversprechend „Jamaika“ und die SPD-Basis sah die Chance für einen parteipolitischen und personellen „Neuanfang“ mit anderer politischer Schwerpunktsetzung. Vorbedingung dafür war; die GroKo unter keinen Bedingungen fortzusetzen. Zu groß war die Furcht in der SPD, und sie ist es in Teilen immer noch, dass sonst die Sozialdemokratie bei den nächsten Wahlen womöglich in Richtung einstelliger Wahlergebnisse abstürzen könnte.

Von der Regeneration der Sozialdemokratie in der Opposition war seither viel die Rede. Das „Soziale“, das die SPD in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu Unrecht in ihrem Namen getragen hat, wurde an der Basis wieder verstärkt eingefordert. Statt über Genderproblematik und andere künstliche Ablenkungen zu streiten, stand bei vielen der vom Neoliberalismus gebeutelten Genossen endlich wieder das Kernthema linker Politik im Zentrum der Aufmerksamkeit: nämlich die Verteilungsfrage.

Die Verteilungsfrage aber ist nicht nur ein rotes Tuch für die konservativen Parteien des Kapitals, sondern auch für die SPD-Spitzengenossen der Wirtschaftsbosse. Im Kern geht es nämlich darum, wie der Mehrwert der von Arbeiter und Angestellten, von Ingenieuren und Krankenschwestern geschaffenen Produkte und Dienstleistungen zwischen Kapital und Arbeit aufgeteilt wird?

Seit fast zweieinhalb Jahrzehnten können wir beobachten, dass die Reichen zunehmend die gesamten gesellschaftlichen Einkommenszuwächse abgreifen und in die eigene Tasche stecken. Die wirklichen Leistungsträger, die diesen Reichtum mit ihren Händen und Köpfen erarbeiten, bekommen nur Krümel ab, oder gehen gänzlich leer aus.

Derlei Diskussionen an der Basis der SPD wurden in den letzten Monaten von den obersten Parteigenossen mit wachsender Sorge verfolgt. Denn diese Edelgenossen hatten sich in den vergangenen GroKos immer bequemer in kuscheligen Regierungsposten und vergleichbaren Positionen eingerichtet. Im Gegenzug verlangte das Mitregieren unter CDU/CSU Führung, dass die sozialen Inhalte der SPD nach und nach für eine politische „Erbsensuppe“ verschachert wurden.

Nach den erschreckenden Stimmenverlusten der SPD (auf unter 20 Prozent) im Herbst letzten Jahres fiel es Martin Schulz und Frau Nahles nur deshalb so leicht, eine Fortsetzung der GroKo auszuschließen, weil CDU/CSU längst hoffnungsfroh in Richtung Jamaika abgedriftet waren. Aber dann kam doch alles anders.

Wider Erwarten ist aus Rot-Grün-Gelb nichts geworden. Aber mit ihrem im Brustton der Überzeugung deklamierten Verzicht auf jede weitere GroKo hatte die SPD-Spitze vorschnell gehandelt und hatte sich in eine Ecke manövriert, aus der sie ohne Verlust ihrer letzten Reste von Glaubwürdigkeit schlecht herauskam.

Aber die SPD wird von erfahrenen Berufspolitikern regiert. Zu diesem Berufsbild gehört sehr viel Flexibilität. Die wird auch dringend benötigt, wenn man sich immer wieder einen Platz an den mit Steuergeldern reich gefüllten Futtertrögen ergattern will. Dafür sind in der SPD-Spitze die inzwischen unmodern gewordenen Eigenschaften wie Charakterstärke, Prinzipientreue und Verlässlichkeit entsorgt worden, denn sie behindern nur das Fortkommen eines Spitzenpolitikers.

Es ist diese „Flexibilität“, mit der nach dem Scheitern von „Jamaika“ die SPD-Spitze der widerspenstigen Parteibasis den angeblichen „Wählerwillen“ als Rechtfertigung für eine neue GroKo auftischt. Dabei hatten doch die Wähler gerade wegen der GroKo die SPD abgestraft. Oder? Dennoch wird alles eingesetzt, um auch mit widersprüchlichem Geschwätz eine neue Koalition mit CDU/CSU herbeizureden. Dazu gehört auch das oft gehörte Argument, dass „ganz Europa“ dringend, ja geradezu sehnsüchtig auf ein starkes Deutschland wartet. Falsch! Darauf freuen sich höchsten die selbsternannten, europäischen Eliten, die von Berlin Schützenhilfe brauchen, wenn sie die Interessen der kleinen Leute in ihren Ländern an transnationale Konzerne verschachern.

Die Mehrzahl der europäischen Völker wünscht sich dagegen ganz bestimmt nicht noch mehr deutsche Diktate aus dem in der EU tonangebendem Berlin. Denn Merkel hat im Namen Deutschlands zig Millionen Menschen von Lissabon bis Athen in Arbeitslosigkeit, Armut, Obdachlosigkeit und Verzweiflung gestürzt. Und die SPD hat bei diesem strukturellen Massenverbrechen immer wieder Beihilfe geleistet. Trotzdem präsentieren sich auch die SPD-Spitzenpolitiker gern als „Diener des Volkes“, die nur das Wohl des Landes, des Wählers und der Partei im Kopf haben und deshalb sind sie auch bereit, für diesen noblen Zweck in den sauren Apfel GroKo zu beißen. Nur böse Zungen behaupten, dass sie damit ihre lieb gewonnenen Machtpositionen, mit Ministergehälter und damit verbundenen Privilegien, wieder ergattern wollen. Und was macht die SPD-Basis?

Trotz des angekündigten Widerstands der Jungsozialisten und einzelner Landesverbände gegen die GroKo werden die Regieanweisungen hinter den Kulissen des Parteitags in Bonn am kommenden Sonntag schon dafür sorgen, dass der „Zwergen-Aufstand“ der GroKo-Gegner nicht aus dem Ruder läuft und die Kreise der führenden Genossen stört. Es müsste schon mit einem Wunder zugehen, wenn die SPD-Schäfchen sich nicht wie seit Jahrzehnten gewohnt auch diesmal wieder scheren lassen.

Es ist einfach unbegreiflich, warum die SPD mit Merkel ausgerechnet die Person an der Macht erhalten will, die nicht nur die Sozialdemokratie ständig vorgeführt hat, die dem Ruf Deutschlands in Europa nachhaltig geschadet und im Inland unsere Gesellschaft zutiefst gespalten hat. Als Anhängsel der CDU/CSU wird die SPD weiter deren Erfüllungsgehilfe sein. Außenpolitisch heißt das, mit Beteiligungen an neuen Militärinterventionen der EU, NATO oder USA imperialistische „Verantwortung“ zu übernehmen, und innenpolitisch unsere Demokratie, unsere Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Kulturpolitik noch stärker als bisher den Erfordernissen der neoliberalen Märkte anzupassen.

In dem Sondierungspapier kann man keinen einzigen, starken Punkt finden, wie z.B. die Erhöhung der Einkommenssteuer für die Reichen und Superreichen, der den sozialen Verfall unseres Landes aufhalten oder gar reparieren würde. Wie machtgeil müssen die Chef-Genossen sein, um trotzdem eine neue GroKo zu wollen? Wenn die wieder zustande kommt, dann katapultiert sich die SPD damit selbst in die politische Irrelevanz. Und am Ende der Legislaturperiode wird sie dann ihr verdientes Ergebnis kassieren. Freuen kann man sich darüber nicht, denn viele Menschen, die der SPD nochmal vertraut haben, werden sich enttäuscht und verwirrt nach rechts wenden.