Wie hängen die Unruhen in Haiti mit dem US-Putschversuch in Venezuela zusammen?

Wie hängen die Unruhen in Haiti mit dem US-Putschversuch in Venezuela zusammen?

von Rainer Rupp

erschienen am 19.Januar 2019 via RT deutsch

Gewalttätige Proteste gegen Korruption erschüttern Haiti. Die Diebe in der Regierung können sich der Unterstützung Washingtons sicher sein. Dass die Unruhen in Haiti sehr viel mit Venezuela und der US-Politik zu tun haben, wird in Mainstream-Medien tunlichst verschwiegen.

von Rainer Rupp

Haiti wird weiterhin von zivilen Unruhen und Massenprotesten erschüttert, in denen der Rücktritt des Präsidenten Jovenel Moïse gefordert wird, vor allem wegen Korruption und galoppierender Inflation, was vor allem die Armen noch ärmer macht. Aber im Unterschied zu weitaus weniger dramatischen Protesten in einem anderen Land, welche einige hundert Kilometer weiter südlich in Venezuela geschehen, hat sich im Fall Haiti die Regierung in Washington geschlossen hinter das bis in die Zehenspitzen  korrupte Regime in Haiti gestellt. Und das, obwohl sich die Lage in dem karibischen Inselstaat derart gefährlich zugespitzt hat, dass das US-Außenministerium alle amerikanischen Bürger aufgefordert hat, Haiti auf Grund der „Verbrechen und Unruhen“ umgehend zu verlassen.

Aber selbst die Flucht scheint inzwischen eine gefährliche Angelegenheit für die auf Haiti lebenden Amerikaner zu sein. Denn um zu einem Hafen oder über die Landgrenze in die Dominikanische Republik zu kommen, müssen sie laut der Warnung des US-Außenministeriums vielerorts errichtete Straßensperren überwinden, an denen sich der kriminelle Mob zusammengerottet hat, um vorbeikommende Weiße auszurauben und/ oder zu misshandeln. Denn aus Gründen, die weiter unten im Text klar werden, geben viele der aufgebrachten Haitianer den US-Amerikanern die Schuld an ihrer Misere. 

Derweil hat John Bolton, der nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten, am Samstag in einer Erklärung alle Seiten in Haiti dazu aufgerufen, „ihre Demokratie zu respektieren und zu schützen“ – das ist mehr als nur ein bisschen ironisch, wenn man bedenkt, dass Haiti, das seit über hundert Jahren unter besonderer „Obhut“ der USA steht, nur auf dem Papier eine „Demokratie“ ist.

Zugleich gab Bolton, der sonst die meiste Zeit damit verbringt, den Sturz von wirklich demokratisch gewählten Regierungen wie die von Präsident Maduro in Venezuela zu planen, in einer Twitter-Nachricht bekannt, dass er sich am Freitag letzter Woche mit dem haitianischen Außenminister getroffen habe. Dabei habe er „ihm die anhaltende Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Freundschaft mit Haiti zum Ausdruck gebracht.“ Er forderte ferner „alle politischen Akteure auf Haiti auf, einen Dialog zu führen und der politischen Gewalt ein Ende zu setzen“.

In Boltons Erklärungen zu Venezuela sucht man allerdings vergeblich nach Aufforderungen an alle Seiten zum Dialog und der Beendigung politischer Gewalt. Einfach bewundernswert, mit welcher Leichtigkeit die US-Regierungsvertreter im Brustton moralischer Überlegenheit mit zweierlei Maß messen.

Die zunehmend gewalttätigen Demonstrationen, die inzwischen auch eine unbekannte Zahl an Toten gefordert haben, haben seit Ende letzter Woche die Region um die wichtigste Stadt im Land, Port-au-Prince, lahmgelegt. Die Proteste werden von einem chaotischen Cocktail aus politischen Kräften befeuert, dies hat nicht nur, aber auch mit Venezuela und der Krise dort zu tun. Sie richten sich vor allem gegen ein erschreckend hohes Maß an Korruption in Zusammenhang mit billigem Öl aus Venezuela, für dessen Diebstahl sie die Regierung und Präsident Jovenel Moïse direkt verantwortlich machen.

Die schlimmsten Befürchtungen wurden im Januar dieses Jahres in einem Gerichtsbericht über die massiven Veruntreuungen der ermäßigten Öl-Lieferungen Venezuelas für Haiti im Rahmen des PetroCaribe-Programms bestätigt. Der Bericht benennt unter anderen eine Reihe von Einzelpersonen, die Mitglieder der Moïse-Regierung sind. Er folgt einem parlamentarischen Bericht, der vor mehr als einem Jahr veröffentlicht wurde und zum großen Teil die gleichen Vorwürfe abdeckte. Aber die Regierung hat alle Vorwürfe unbeantwortet gelassen und überhaupt nicht darauf reagiert.

Aber was verbirgt sich hinter dem PetroCaribe-Programm Venezuelas? Was dabei für Haiti auf dem Spiel steht, beschreibt Ariel Fornari von Haiti Analysis. Demnach unterstützt Venezuela seit mehr als einem Jahrzehnt die Regierungen von Haiti und der Dominikanischen Republik durch ein bevorzugtes Öl-Lieferungssystem, das als PetroCaribe bezeichnet wurde. Mit Rohölpreise, die weit unter den Weltmarktpreisen lagen, deckten die venezolanischen Lieferungen den kritischen Energiebedarf der Länder ab.

Laut PetroCaribe-Ölabkommen brauchten die Regierungen Haitis und der Dominikanischen Republik nur 60 Prozent des Öl-Marktpreises bezahlen. Die restlichen 40 Prozent könnten über einen Zeitraum von 25 Jahren zu einem Zinssatz von 1 Prozent finanziert werden, solange die Ölpreise über 40 US-Dollar pro Barrel blieben. Dies ermöglichte enorme Einsparungen für die Empfängerländer. Laut Vereinbarung im PetroCaribe-Abkommen sollte auch die Regierung in Haiti das ersparte Geld für soziale Zwecke, zum Beispiel für Schulen und Krankenhäuser, verwenden.

Weiter erfährt man bei Haiti Analysis, dass Länder wie Nicaragua, Jamaika, Kuba und viele andere Inseln in der östlichen Karibik mit Hilfe der PetroCaribe-Fonds und andere venezolanische Unterstützungsmechanismen erfolgreich gewirtschaftet haben und viel in wichtige Infrastruktur sowie ins Bildungs- und Gesundheitswesen investiert haben. Mit diesen Mitteln aus den PetroCaribe-Fonds konnten auch berüchtigte Knebelabkommen mit dem Internationalen Währungsfonds und anderen verwandten, internationalen Raubtier-Finanzinstitutionen vermieden werden.

Nur mit den korrupten Politikern in Haiti und in der Dominikanischen Republik, deren Regime eng mit Washington verbandelt sind, hat das nicht geklappt. Denn der größte Teil des für soziale Zwecke bestimmten Geldes ist in die privaten Taschen der Regierenden geflossen.

Aber damit nicht genug, seit Monaten stand die Moïse-Regierung unter zunehmendem Druck ihres Mentors in Washington, die Beziehungen zu Venezuela zu kappen. Anfang dieses Monats führte das dazu, dass die haitianische Regierung den von Washington ernannten „Präsidenten“ Guaidó anerkannte. Das hat die Wut vieler Haitianer auf der Straße nur noch weiter angeheizt, denn ihnen war klar, welche Folgen das für die Ölversorgung ihres Landes haben würde.